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22.02.2013, Millerntor, 2. Liga |
In einem der Freitag-Spiele des 23. Spieltags der 2. Liga hat heute der FSV Frankfurt beim
FC St. Pauli anzutreten, womit zwei Vereine aufeinandertreffen, die beide noch niemals in
ihrer Geschichte eine Fusion eingegangen sind oder umbenannt wurden, wenn man davon absieht,
daß die Hamburger 1910 als Fußballabteilung des Hamburg-St. Pauli Turnverein 1862 an den
Start gegangen waren und als eigenständiger Verein erst seit 1924 existieren, als man sich
im Rahmen einer "reinlichen Scheidung" von den Turnern abnabelte. Die Hamburger sind nach
einem Erstligajahr 2010/11 umgehend wieder in der Zweitklassigkeit gelandet und haben wohl
nur den Derbysieg beim Hamburger SV vom 16.02.2011 in positiver Erinnerung, zumal nach dem
Erfolg in Barenfeld der Klassenerhalt fast festzustehen schien, man am Ende aber doch auf
dem letzten Tabellenplatz gelandet war, nachdem man in den folgenden 13 Spieltagen nur noch
vier Zähler hatte gewinnen können. Der FSV Frankfurt ist 2008 nach einem überraschenden
Durchmarsch durch die Regionalliga in der 2. Liga vertreten, wo man sich inzwischen also nicht
nur im 5. Jahr hält, sondern in der aktuellen Saison einmal mehr in der Spitzengruppe mitmischt.
Abstiegskampf ist heute dennoch angesagt am Millerntor, nur daß es die Gastgeber sind, die
im letzten Jahr noch ebenfalls auf den Aufstieg schielen konnten, aktuell aber vor allem
nach einem Fehlstart in die Rückrunde, in der man ohne Sieg dasteht, den Abstiegsplätzen immer
näher rückt, wobei vor allem der letzte Montag, an dem St. Pauli mit einer blutleeren Leistung
ohne eine Torchance das Heimspiel gegen den 1. FC Köln verloren hat, die Alarmglocken zum
Schrillen gebracht hat.
Heute gibt es also keine Entschuldigungen mehr bei den Kiezkickern, und man ist gefordert,
mit einer intensiven Leistung dem Spitzenteam aus Bornheim Paroli zu bieten, das selbst durchaus
noch darauf spekulieren kann, dem mit nur sechs Zählern Vorsprung auf Platz 3 liegenden
1. FC Kaiserlautern den Relegationsplatz zu entreißen. Tatsächlich zeigt sich schnell, daß sich
die Hamburger einiges vorgenommen haben, denn man setzt seinen Gegner von Beginn an unter Druck
und kommt frühzeitig zu ersten Torchancen. In der 12. Minute scheitert Daniel Ginczek noch am
langen Pfosten, und so muß St. Pauli bis zur 28. Minute warten, ehe es dann doch Ginczek ist,
der mit einem schönen Heber für das 1:0 sorgt - fast tragisch aus Sicht der Franfurter, da man
selbst unmittelbar davor seine erste große Chance vergeben hat und der Befreiungsschlag von St.
Paulis Jahn-Phillip Kalla nach der Rettungsaktion von Torhüter Philipp Tschauner zur eher
zufälligen Vorlage avanciert. Jetzt müssen die Bornheimer mehr tun und versuchen auch, nach vorne
zu spielen, aber die besseren Torchancen ergeben sich aus den Kontern der Kiezkicker, die schon
vor der Pause eine Vorentscheidung herbeiführen könnten. Das gelingt zwar nicht, aber man
bleibt auch in der zweiten Hälfte das überlegene Team; schließlich ist es erneut Ginczek, der
in der 52. Minute vier Gegenspieler narrt und auch FSV-Goalie Patric Klandt mit einem strammen
Schuß überwindet. Jetzt traut wohl kaum noch jemand den Hessen zu, die Partie noch einmal zu drehen,
obwohl sie durchaus weiterhin offensiv agieren und ihre Chance suchen, aber am Ende ist es noch einmal
Ginczek, der in der 87. Spielminute einen Treffer erzielt und damit jeden Zweifel daran beseitigt,
wer heute als Sieger vom Platz gehen wird. Er stellt auch endgültig klar, wer Spieler des
Tages ist - mehr passiert nicht mehr, bevor Schiedsrichter Robert Kempter die Partie ohne
jede Nachspielzeit im zweiten Abschnitt abpfeift.
Bei und nach der Niederlage gegen Köln war die Stimmung durchaus angespannt am Millerntor,
doch heute hat man sich bei den Fans der Kiezkicker vorgenommen, alle Zweifel beiseite zu
schieben und sein Team vorbehaltslos zu unterstützen. Die couragierte Leistung der Mannschaft
trägt sicherlich dazu bei, daß das schließlich hervorragend gelingt. Als im Fanbereich auf
der Südtribüne eine Choreographie mit einer großen und zahlreichen kleinen Totenkopf-Fahnen
sowie der Botschaft "You'll never walk alone" präsentiert wird, kann davon zwar noch keiner
etwas wissen, aber im Spiel springt der Funke sicherlich sowohl von den Tribünen auf die
Mannschaft über als auch umgekehrt, denn während sich die einen auf dem Platz abrackern, geben
die anderen auf der Tribüne ebenfalls alles. Es wird ständig supportet, wobei auch die
Fans auf den Längsseiten immer wieder deutlich zu hören sind, bis man am Ende mit dem vielleicht
nicht so originellen, aber selten besser passenden "Oh wie ist das schön!" die Emotionen des
Tages auf den Punkt bringt. Unterdessen wird auch im eher spärlich besetzten Gästeblock - die
Fanbase des FSV ist halt nicht die allergrößte - fleißig angefeuert und man läßt sich von der
Niederlage nicht sonderlich beeindrucken. Vielleicht ist ja der eine oder andere FSVler sogar
etwas erleichtert, zumal ein unerwarteter Höhenflug wie der aktuelle tatsächlich auch etwas
verwirren kann und das Verhältnis der Bornheimer zum FC St. Pauli ein eher gutes ist, selbst
wenn es nach dem 3:0 für die Braun-Weißen auch einmal einen Sprechchor "Scheiß St. Pauli!" gibt.
Ansonsten feuert man lieber sein eigenes Team an und lebt mit Sprechchören wie "Zehntausend
Bornheimer", "Ohne Bornheim, wär' hier gar nichts los" oder "Wir steigen auf und keiner merkt's!"
seinen traditionellen Hang zur Selbstironie - dazu wird während des ganzen Spieles mit einer
Handvoll großer Schwenkfahnen herumgefuchtelt.
Wer das Millerntorstadion, das von 1970 bis 1998 Wilhelm-Koch-Stadion hieß und auf dem Heiliggeistfeld
in unmittelbarer Nähe des Hamburger Doms zu finden ist, in den letzten sechs Jahren nicht besucht hat,
dürfte die Anlage nicht wiedererkennen können, denn das ist der Zeitrahmen, in dem die Duisburger
Hellmich Baugesellschaft die Anlage während des laufenden Spielbetriebs zu dem Stadion umgebaut hat,
das jüngst mit der Eröffnung der Sitzplätze auf der Gegenseite vollendet worden ist. Offene
Hintertorseiten gehören jetzt endgültig der Vergangenheit an, und auch der Rest des Stadions hat
sein Gesicht völlig verändert. Eine Tradition ist jedoch erhalten geblieben - daß es auf
der Gegenseite unterhalb der Sitzplätze einen Stehplatzbereich gibt, und der ist großzügig gestaltet
und stellt so in der Zeit der (Fast-)Allseater eine echte Besonderheit dar, die ganz zum Gefallen
der Fans ausgelegt wurde - ob jetzt noch eine Polizeiwache in die Gegenseite integriert wird oder nicht,
ein Plan, mit dem sich der Anhang der Kiezkicker nicht anzufreunden vermag, ist allerdings weiterhin
nicht vollständig geklärt. Eine weitere Tradition, die man erhalten hat, ist die der alten Anzeigetafel,
die jedoch auf die moderne transponiert, denn das Original thront jetzt in den Katakomben des Stadions,
wo es auf ewig das legendäre 2:1-Resultat des Spiels gegen den FC Bayern vom 6.2.2002 zeigt.
Der aktuelle Spielstand wird über die Abbildung des guten Stücks auf der neuen Multimediatafel
kundgetan, wobei man es gleich noch um "Steckplätze" für die Vereinslogos der spielenden Clubs bereichert
hat, die seinem Vorbild gefehlt haben. Tatsache ist jedenfalls, daß die neue Anlage für einen Drittligisten
deutlich überdimensioniert ist und daß der FC St. Pauli den Abstieg umbedingt vermeiden muß, um nicht wie
zum Beispiel Alemannia Aachen nach dem Bau eines Hellmich-Stadions in Richtung Pleite zu schlittern - auch
der MSV Duisburg bietet da ein warnendes Beispiel und muß mit spitzem Bleistift rechnen, obwohl die
Meidericher nicht einmal aus Liga 2 abgestiegen sind!
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